96kHz-Serie "Kleines Gesangs-ABC für ProduzentInnen"

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Teil 7: Einsingen: "Damit Sie auch morgen noch kraftvoll..."

(Artikelserie aus dem 96kHz.de-Online-Magazin 2009-2010)


Einsingen (Warmup / Warmsingen) muss gelernt sein, da es ein sehr individueller und von der jeweiligen Tagesdisposition abhängiger Vorgang ist, welcher sich – aus all den erlernten Übungen, die über die Ausbildungsjahre einer guten Gesangs-Unterrichtung für jegliche Disposition zur Verfügung stehen – täglich immer neu zusammensetzt.

Es gibt Sänger, die mit bestimmten gut liegenden Liedern oder Arien ihren Tag beginnen und die Sauberkeit technischer Vorarbeit scheinbar ganz entbehren können (es soll ja auch Leute geben, bei denen morgens ein Eukalyptusbonbon die Zahnbürste ersetzt).

Franziska Martienssen-Lohmann

Gewusst wie

„Gesangliches Warmup“ ist an für sich Sache der ausgebildeten SängerInnen: Diese sollten wissen, was zu tun ist. Ich möchte hier daher nochmals unbedingt zu einer soliden Stimmausbildung raten: Nicht aus schnöder Eigenwerbung (gehen Sie gerne zu entsprechenden Kolleginnen oder Kollegen in die Unterrichtung – aber gehen Sie! ;-)) – sondern aus langjährigem Einblick in die stimmliche Belastung von BerufssängerInnen.

Richtig durchgeführt (= individuell erarbeitet und erlernt) ist ein gutes Einsing- und Warmup-Programm oft schon ein großer Teil des „Rettungsankers“ mancher – leider oft erst kurz vor Tourneestart bei mir in Auftrag gegebener – Coachings: Man kann natürlich definitiv nicht „nach zwei oder drei Coachingterminen perfekt singen“, aber zumindest lernen, wie man „aufgewärmt und gedehnt wie ein Profisportler“ (sprich „in bestmöglicher Form“) auf die Bühne bzw. ins Studio geht.

Unnötig zu erwähnen, dass es natürlich eigentlich gar nicht erst zum Einsatz vom „Rettungsanker eines zu knapp terminierten Coachings“ kommen sollte.

Gelungener Start am Morgen – or when ever :-)

Aufwärmendes Einsingen ist also überaus wichtig. Was aber, wenn weder von Seiten der ProduzentInnen – noch seitens KünstlerIn – ein diesbezügliches Wissen besteht und „der Take“ dennoch kurzfristig realisiert werden muss?

Klar – eine Möglichkeit wäre: Ich würde in einem solchen Fall empfehlen, einen Vocalcoach zum betreffenden Studiotermin hinzuzuziehen. Was natürlich in den Möglichkeiten des Produktions-Budget liegen muss. Auch findet sich je nach Termin-Spontanität des Recording-Dates nicht immer jemand Geeignetes. Was also, wenn dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich ist?

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Warm-Up Teaser

Für diesen Fall möchte ich, bevor überhaupt kein Warmup die stimmliche Studioarbeit einlenkt, zumindest ein paar "schadenbegrenzende Tipps" anbieten – mit dem wiederholten Verweis auf eine verantwortungsvolle stimmliche Ausbildung: Ich habe nämlich lange überlegt, ob ich zum Thema Einsingen hier überhaupt Übungen erkläre, da Singen immer besagte individuelle Unterweisung braucht:

Man kann Singen nicht aus einem Buch oder Website-Artikel lernen. Sehen Sie das Folgende also lediglich als kleinen Einblick – als Teaser – und lassen Sie ihre KünstlerInnen ausbilden! Ich halte mich bei den folgenden Tipps dementsprechend sehr allgemein und sehe diese definitiv nur als „hinkende Notlösung“, welche ich keinesfalls als „professionelles Einsing-Programm“ missverstanden sehen möchte:

Ein-Stimmung

So doof es für manche(n) vielleicht klingt – es ist ganz einfach: KünstlerIn hinsetzen – Klappe halten – Atmen! ;-) Zu Beginn der Arbeit ist es immer sehr hilfreich, aus der Hektik des vorangegangenen Alltags „in die eigene Mitte zurückzukehren“. Und dies ist durchaus wörtlich gemeint: 

Im „Jetzt des Raumes“ ankommen

Das Zentrum der Atmung (und mit ihr die zentrale Mitte des Körper-Bewusstseins) sollte im Flanken-Bauchbereich sein – und (beispielsweise) nicht im Schulter- /Brustbereich.

Die richtige Zwerchfellatmung sollte allen SängerInnen bekannt sein – und fällt wiederum in den Bereich Ausbildung. Aber auch „ungelernt“, kann man sich bemühen, diesen Bereich zu aktivieren:

Beginnen Sie dazu immer mit der Ausatmung (!) und fühlen Sie, wie der Flankenbereich während des Ausatmens schmaler wird.

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Überprüfen Sie diesen Bereich (Flanken/Taille = der freie Bereich unter den Rippenbögen – aber über den Hüftknochen), indem Sie „die Hände kontrollierend in den Flanken anlegen“ und diese dann einatmend „nach außen atmen“ (als ob Sie auf diese Weise einen Motorrad-Nierengurt weiten wollen).

Dabei hilft die Vorstellung „Gewichte an den Ellbogen“ zu haben (oder rechts und links zwei Einkaufstaschen zu tragen), um ein „Hochziehen der Schultern“ durch eine „gegen das Schlüsselbein gezogene Einatmung“ von vorn herein zu vermeiden (dies wäre sonst eine Atemfehlform – was wollen Sie beim Schlüsselbein? Ihre Lunge weitet sich hauptsächlich in den „Bauchbereich“ hinein aus ;-))

"Gegen die Hände atmen"

Es geht also darum, zunächst immer „schmal werdend auszuatmen“ und anschließend bei der Einatmung die „Weitung gegen die Hände“ zu fühlen (später richtiger: Die Einatmung „geräuschlos – und ohne Luft zu ziehen – (reflektorisch) passieren lassen“. Was nun abermals in Unterricht ausarten würde ;-)).

Der Flanken- und Bauchbereich sowie der Bereich des unteren Rückens, gehen dabei „wie ein Hefeteig auseinander“. Aber Achtung: Der „einseitig isolierte Bauchbereich“ wird in vielen Gesangsunterrichten leider oft „überbetont“: Eine ausschließliche „isolierte Vorderbauch-Bewegung ohne Flanken- und untere Rückenpartie“ wäre jedoch falsch (= einseitige Bauchatmung). Man spricht beim richtigen Atmen nicht umsonst auch von einer „Ringatmung“.

Wichtig: Beim späteren, sogenannten „gestützten Singen“ sieht dies jedoch völlig anders aus!! Während des Singens wird man nicht „schmal“, da man nicht „mit viel Luft ausatmend“ singt – sondern „auf der ruhig stehenden Luftsäule“.

Atmung und gestütztes Singen nehmen einen äußerst umfangreichen und wichtigen Teil in der Ausbildung von SängerInnen ein: Obenstehendes beschreibt also nur sehr rudimentär die „zentrierende Normalatmung“ – zum Zwecke des besagten „Ankommens & Zentrierens“!

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Es hilft des Weiteren oft, während der Übung auf die „Geräusche im Raum zu hören“ – um durch diese „die Tür ins Jetzt“ zu finden: Denn dort sollte das Bewusstsein der SängerInnen sein: Weder beim vorangegangenen „Morgen im Hotel“, noch beim „Gig am Abend“ – sondern im „Hier und Jetzt“. Übrigens hilft diese Übung ebenso gestressten ProduzentInnen „ins Lot zu kommen“ ;-)

Das Lippenflattern – "Lip roll"

Mit den Lippen auf „stimmlosen pppppp“ (oder auch bbbwwww) flattern: So wie ein Pferd schnaubt. Auch hier bedarf es meist einer gewissen Anleitung, da es darum geht, die Lippen währenddessen „möglichst locker zu halten“ – und das Geräusch nicht „mit angespannten Lippen und mit hohem Luftdruck“ zu erzeugen! Das gelingt nicht allen auf Anhieb und braucht oft etwas Übung.

Einsingen vor dem Einsingen

Anschließend wird das „Lippenflattern“ dann auf einem Ton freier Wahl intoniert (eingangs am besten immer von einem angenehm liegenden Startton von oben nach unten führen – das klingt ungefähr wie eine „nach unten auslaufende Feuersirene“). Das Grundgeräusch des „stimmhaften Lippenflatterns“ selbst klingt dann zum Beispiel so, wie manches kleine Kind „Autofahrgeräusche imitiert“.

Der Startton sollte dabei immer absolut frei von den KünstlerInnen selbst gewählt werden (Eigenton) und dann besagterweise stufenlos nach unten geführt werden – also vorerst nicht auf einem Ton „gehalten“ werden. Eingangs nicht zu hoch einsteigen – und nicht zu genau intonieren wollen (kein übersteigertes „Ton treffen wollen“!):

Ich nenne dies oft auch „Einsingen vor dem Einsingen“, da ein kontrollierend verkopftes „Ton treffen wollen“ meist nur zu (muskulären) Verspannungen im „Gesangsinstrument Mensch“ führt. „Man darf beim Singen nichts tun – es muß alles kommen“ sagte Johannes Messchaert einmal. Es geht um „Warm werden“ – und noch nicht um „den Take des Jahrhunderts“. Nun zur Artikulation:

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Den Liedtext mit Korken zwischen den Zähnen laut sprechen

Eine Übung, die ich auch auf „Veranstaltungen mit absoluten Gesangs-Laien“ (im Rahmen meiner Event-Coaching´s wie z.B. Song_Coaching) schon oft erfolgreich durchgeführt habe. Das Textsprechen mit einem Korken fördert die Artikulation in der sogenannten Vordersitzregion. Zunge, Zähne und Lippen werden aktiviert:

Mehr sprechen – weniger singen

Sehr vereinfacht ausgedrückt: Je deutlicher die Artikulation – desto leichter singt es sich. Hier kannten schon die Gesangs-PädagogInnen der klassischen Musik die Gesangsanweisung: „Mehr sprechen – weniger singen!“

Für diese Übung nimmt man einen Korken zwischen die Schneidezähne (natürlich mit der runden Korkenseite – nicht hochkant! ;-)) und spricht langsam und so deutlich wie möglich den zu singenden Liedtext durch.

Die deutliche Aussprache (= ist erlernbar) sollte man dabei durch ein „deutliches Lippenabheben rund um den Korken“ – und nicht über „grinsende, in die Breite gezogene Mundwinkel“ anstreben:

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Give it away, Give it away...

Zunächst gilt die Devise: So deutlich wie möglich – und so langsam, wie dafür nötig. Auch ist anfänglich ein Wiederholen der einzelnen Zeilen sinnvoll:

Nach erstmaligem Durcharbeiten des gesamten Titels kann man dann in einem zweiten Durchlauf bereits etwas schneller sprechen – und in der Folge die Geschwindigkeit immer weiter steigern, bis die Devise lautet: „So schnell wie es bei guter, deutlicher Aussprache noch möglich ist“:

Wie heißt es bei den Red Hot Chili Peppers doch gleich? „Give it away, Give it away, Give it away now!“

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Nix vernuscheln

In diesem Sinne – nix vernuscheln – und bitte unbedingt beachten: Falls Sie bei der Korkenübung lachen müssen: Halten Sie die Zähne auf dem Korken – und atmen sie nicht den Korken ein! ;-)

Abschließend – und ich traue mich kaum, dies unter dem einleitenden Zitat von Franziska Martienssen-Lohmann bereits jetzt so einfach hinzuschreiben, da das Vorangegangene besagterweise kein „wirkliches Einsingen mit elastisch anlehnender Stützaktivierung und Vokalübungen“ war – können Sie die KünstlerInnen ein „tonal gut liegendes, einfaches Stück“ zwei oder drei Mal durchsingen lassen.

Was dabei „gut liegend“ bedeutet, wäre wieder so ein Thema für sich:

Auf Dauer kann Ihnen die hier angebotene – nennen wir es statt Einsingen einfach „Einstimmung“ – eben keine fundierte Stimmausbildung ersetzen. Sagen wir vereinfacht:

Die Tonart des Songs sollte nicht zu hoch und nicht zu tief gewählt sein.

Vielleicht fragen Sie auch die KünstlerInnen selbst, welche Stücke ihnen denn „total leicht fallen“. Dies kann (!) eventuell eine Hilfe sein:

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The right tune

Sonnenklar: Als professionelle KomponistInnen und ProduzentInnen sollten Sie selbstverständlich den Stimmumfang ihrer KünstlerInnen kennen und um deren stimmliche Mitte wissen – und somit auch um die „richtige Tonart“! Sie komponieren ja auch kein Konzert für Querflöte ohne zu wissen, in welchem Ton-Range diese überhaupt spielen kann.

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Natürlich sollte auch klar sein: „Warmmachen und Einsingen“ darf kein stundenlanges Müdesingen sein – sonst hängen Ihre KünstlerInnen noch vor Aufnahmebeginn „matt vor dem Mikrofon“ und dies sollte weder vor noch nach dem Take passieren. By the way: Apropos „Vor dem Mikro hängen“... Darum geht es dann in zwei Wochen: „Wie soll man eigentlich vor dem Mikro stehen?“ Bis dahin: Bewahren Sie Haltung ;-) (tg)

Info zu 96kHz:

Seit 2015 ist die Website www.96kHz.de offline.

Die hier archivierte Vocalcoaching-Serie 
war von 2009 bis Anfang 2015 im Onlinemagazin auf 96kHz.de zu lesen.
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