96kHz-Serie "Kleines Gesangs-ABC für ProduzentInnen"

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Teil 2: Stimmhygiene – Während Studioarbeit, Tour und im Alltag!

(Artikelserie aus dem 96kHz.de-Online-Magazin 2009-2010)


Was ist Stimmhygiene? Sie hat jedenfalls nichts mit dem berühmten "Gemeinschaftsklo in Proberaum-Komplexen" zu tun ;-) Unter dem Begriff "Stimmhygiene" versteht man seitens SängerIn allgemein einen stimmdienlichen Umgang mit der Gesangsstimme – also ein "stimmlich sinnvolles Allgemein-Verhalten der Stimm-Berufenen".

Räuspern bedeutet für die Stimme dasselbe, als wenn man mit einer Armbanduhr auf den Tisch klopfen würde.

Alessandro Bonci

Stimmhygiene – Während Studioarbeit, Tour und im Alltag!

Was nützt die penibelste Mikrofonierung, wenn die Künstlerin eine belegte Stimme hat, weil sie vorher literweise Milchkaffee getrunken und haufenweise Erdnüsse gefuttert hat? Der Begriff "Stimmhygiene" bezieht sich also nicht nur auf die aktiven Gesangs-Zeiten der täglichen Bühnen- oder Studio-Arbeit, sondern insbesondere auch auf den umgebenden Lebensalltag – "die größte Dauerübung" überhaupt. Beginnen wir mit einem großen Wort: Dem "Maß":

Stimmliche Disposition ist sicherlich immer eine sehr persönliche Sache. Jede(r) reagiert auf seine Umwelt anders und stellt oft im Laufe des Lebens fest, dass Dinge die anderen gut tun, nicht immer auch für das eigene Leben richtig sein müssen. "Bewusstsein" lautet hier der Grundsatz.

Hauptberufliche Stimm-NutzerInnen müssen einen individuellen Weg und Umgang mit ihrer Stimme finden. Das "richtige Maß" ist dabei insofern wichtig, als dass es eben immer um eine gesunde, bewusste "Waage" geht: Kein leichtsinniges, schädigendes Verhalten – aber bitte auch keine übertriebene SängerInnen-Hysterie, Schwarz-Malerei oder Stimmangst! Der Hund vor dem ich Angst habe, wird auf mich aufmerksam. 

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Auch – und insbesondere – die "innere Haltung", sowie unbewusste Prozesse wirken auf die "Stimmungslage" ein. Man/Frau bemühe sich daher bitte immer um diese sprichwörtliche "gesunde Mitte".

Die folgenden, ausgesuchten "äußeren Aspekte" der Stimmhygiene habe ich bewusst auf einige wenige Punkte reduziert, welche mir für "die ProduzentInnen hinter der Scheibe" interessant erscheinen und nicht allzu "gesangstechnisch" sind. In meinem Vocalcoaching werden die einzelnen Punkte mit den SängerInnen deutlich umfangreicher erarbeitet. Die von den ProduzentInnen gebuchten ProfisängerInnen sollten ohnehin um diese Aspekte wissen (obschon dies erstaunlich oft nicht der Fall ist). Insbesondere das Heer der "gesanglich ungelernten Superstars" fordert ein solches Grundwissen jedoch auch immer öfter den ProduzentInnen selbst ab:

Essen und Trinken vor dem Singen

Zum Thema "Essen" sei gesagt: Beim Singen spielt unter anderem das "Zwerchfell" eine sehr wichtige Rolle. Das Zwerchfell wird "bei vollem Bauch" vom Mageninhalt behindert – und dies wirkt sich wiederum direkt auf die Gesangsleistung aus: Mit vollem Magen kann man/frau nicht vernünftig singen:

Eine Faustregel

Als Faustregel gilt: Zwischen dem Essen und der gesanglichen Leistung sollten mindestens zwei Stunden liegen. Unmittelbar vor Auftritten oder Studio-Aufnahmen sollten SängerInnen außerdem keine verschleimenden Getränke oder Speisen zu sich zu nehmen (Milch etc.). Angebliche "Lockermacher" wie Alkohol oder andere Drogen natürlich sowieso nicht.

Nüsse können durch die in ihnen enthaltenen ätherischen Öle die Stimme belegt klingen lassen und wie eine Art "Heiserkeit" erscheinen. Allgemein sprechen sich die meisten SängerInnen dafür aus, auch Dinge wie: Kaffee, Kakao, schwarzen – sowie grünen Tee, Schokolade, Aufputschdrinks wie Red Bull, sowie Zitrusfrüchte vor stimmlicher Leistung zu meiden. Gegen einen Apfel ist hingegen nichts einzuwenden.

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Gleiches wie für das Thema "Essen vor dem Singen" gilt übrigens auch für das Thema "Schlafen vor dem Singen": Die Stimme "schläft nach"! SängerInnen sollten also mindestens zwei Stunden vor dem Einsingen wach sein. Also bitte nicht erst kurz vor dem mittäglichen Studiotreffen aufstehen – oder sich während der Mikrofonierung oder Playback-Vorbereitung noch kurz im Aufenthaltsbereich aufs Ohr hauen...

Eine grobe Regel lautet: Der Stimme schadet, was zu kalt, zu heiß, zu scharf oder zu hochprozentig ist – mancher nimmt noch "zu rauchig" hinzu, da frei nach A.J. Boruttau"Singen im Rauch für die Stimme geradeso nützlich ist, wie für die Geige das Violinespielen im Platzregen".

Von Hot Dog bis Cold Kater

Eine Riesenportion Eis oder ein scharfes Chili vor einer Gesangsleistung sind also ebenso unangebracht, wie während des Studiojobs literweise Whisky zu trinken ;-) Aber wer trinkt schon literweise Whisky während des Singens? Na ja...

Andererseits antwortete ein bekannter Rocksänger vor einigen Jahren einmal auf die Frage: "Wann hatten Sie Ihren letzten Kater?" mit: "Hmmm. Einen Kater bekommt man, wenn man aufhört zu trinken". Spaß beiseite: Auch ein literweises Trinken von "eiskalter Cola" kann stimmgefährdend sein.

Dennoch möchte ich noch kurz beim Thema Alkohol bleiben:

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Und hinterher? Wodka an der Bar?

Ein Gitarrist würde nie nach seinem Auftritt einen "Cola-Rum" über seine Lieblings-Gitarre schütten: Der Sänger, bzw. die Sängerin würden jedoch genau dies – beim Genuss von Alkohol vor, während oder nach einem Konzert oder der Studioarbeit – machen! Die Stimme kann nach dem Gig (bzw. nach der Studioarbeit) halt nicht in den Instrumenten-Koffer gepackt werden, sondern muss – gut durchblutet und hoffentlich nicht müde gesungen – durch alles durch, was da kommt. 

Alkohol (Alkohol fällt hierbei in die Kategorie "scharf" – insbesondere "Hochprozentiges") hemmt zusätzlich zur Reizung der Schleimhäute darüber hinaus ein Hormon, welches normalerweise die Wasser-Ausscheidung in den Stimmlippen zügelt. Dies merkt man "bereits als Laie" am berühmten "Nachdurst" nach durchzechter Nacht – und an der sprichwörtlichen "Säuferstimme".

Wasser ist der Treibstoff des Körpers: Man spricht von circa 30 ml pro Kilogramm Körpergewicht als Tagesmenge. Das sind bei 70 kg Körpergewicht immerhin schon 2,1 Liter – und etwas mehr schadet sicherlich nicht. Meist spricht man bei professionellen Stimm-BenutzerInnen von mindestens 2 bis 2,5 Litern Wasser pro Tag. Hierbei ist übrigens klares, reines Wasser – am besten ohne Kohlensäure – gemeint: Dieses nicht zuletzt auch deshalb, weil Kohlensäure auf der Bühne und im Studio zu unerwünschten Nebengeräuschen führen kann.

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Dann lieber doch ein Bonbon?

Bedingt: Auch um Zusatzstoffe wie "Menthol" sollte ein weiter Bogen gemacht werden: SängerInnen sollten also beim Verzehr von gut gemeinten Dingen wie Hustenbonbons insbesondere darauf achten, diesen sehr häufig verwendeten Inhaltsstoff zu meiden. Er erscheint geschmacklich meist "erfrischend" (Werbung: "Atmen Sie wieder tief durch...") bis kühlend oder kalt (z.B. Fishermen ´s Friend).

Wenn Sie also Bonbons in der SprecherInnenkabine auslegen wollen, so sollten diese bitte mentholfrei und nicht zu scharf sein! Alternativ sind Lutschtabletten wie "Emser Salztabletten" (natürlich die Version ohne Menthol) oder "Isla Moos" oft eine bessere Wahl, da sie u.a. die Schleimhäute befeuchten.

Hier möchte ich erst mal schließen. Einige Punkte, die das Allgemeinverhalten vor und während der gesanglichen Studioarbeit betreffen, haben wir uns heute bereits angesehen: Nächstes Mal komme ich zum "dazwischen" und zum "danach" der gesanglichen Arbeit – zum Pausenverhalten und zum Nachfeiern. (tg)

Info zu 96kHz:

Seit 2015 ist die Website www.96kHz.de offline.

Die hier archivierte Vocalcoaching-Serie 
war von 2009 bis Anfang 2015 im Onlinemagazin auf 96kHz.de zu lesen.
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