96kHz-Serie "Kleines Gesangs-ABC für ProduzentInnen"

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Teil 5: Die Hormone - Von der "Pille" bis zu den "Wechseljahren"...

(Artikelserie aus dem 96kHz.de-Online-Magazin 2009-2010)


Das heutige Thema ist schon etwas spezieller und wahrscheinlich für SängerInnen wichtiger als für Musikproduzentinnen, Musikproduzenten und TontechnikerInnen – aber ich wollte diesen Punkt nicht einfach unter den Tisch fallen lassen: Die hormonelle Situation der SängerInnen wirkt sich auf deren gesangliche Leistungsfähigkeit aus. Hormonelle Erkrankungen können unter Umständen sogar das Singen unmöglich machen. Allgemein wirken sich Hormonpräparate oft "verändernd" auf die Stimme aus: Zu nennen wären hier u.a. Anabolika, welche z.B. Verbreitung in der BodybuilderInnen-Szene haben (und mir eben manchmal auch bei singenden, männlichen Models begegnen). Anabolika nehmen der SängerInnen-Stimme "Brillanz und Glanz". In extremen Fällen können nach Einnahme von Anabolika sogar "Frauenstimmlagen" in den Bereich der Männer-Stimme absinken.

Boy you best pray that I bleed real soon…

Tori Amos in Silent all these years

Pubertät der Damen?

Wenn dies ohne Einnahme solcher Produkte "plötzlich" bei reiferen Sängerinnen eintritt, sollte auch an die Wechseljahre (Klimakterium) und die damit einhergehende hormonelle Umstellung des Körpers gedacht werden. Vor und nach der Menopause gibt es einige (Wechsel-)Jahre der „hormonellen Umstellung” (Übergang von der reproduktiven zur postmenopausalen Phase).

Wenn´s wechselt...

Die “Wechseljahre” liegen im Durchschnitt im Lebensalters-Abschnitt zwischen dem fünfundvierzigsten und fünfzigsten Jahr. Manche Damen rutschen deutlich früher rein (eventuell bereits ab vierzig Jahre) – manch eine "erwischt" es vielleicht auch erst mit “Mitte Fünfzig”.

Mit Ende Sechzig bzw. Anfang Siebzig haben “die Jahre” dann “ausgewechselt” – und sind “durchsungen” – – oder die Dame ist mit Schaukelstuhl und Dobro-Bluesgitarre auf den Knien bereits in Rente ;-).

Eine der wichtigsten hormonellen Änderungen in diesen „Wechseljahren“ ist der Rückgang des Östrogens – welches den Menstruationszyklus regelt:

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Das Leben hat immer recht

Manche Profisängerin der Klassik musste mit Einsetzen der Wechseljahre schon ihr Bühnen-Stimmfach wechseln, weil „die Stimme tiefer wurde“. Neben zahlreichen Beschwerden (= klimakterisches Syndrom) können sich unter anderen Befindlichkeiten wie trockene Schleimhäute von Mund und Nase – aber auch eine manchmal einhergehende “Verminderung des Selbstwertgefühls” auf die Stimme (= Stimmung) auswirken.

Im Grunde ist die Thematik der Wechseljahre ganz gut mit der Veränderung der "pubertären Jungenstimme im Stimmbruch" vergleichbar: Was den Damen zu Pubertätszeiten erspart bleibt, mag „frau“ gegebenenfalls in den Wechseljahren vor "Änderungen und Neuerungen im künstlerischen Ausdruck" stellen – um hier bewusst das in diesem Falle fehlleitende Wort "Problem" zu vermeiden, denn:

Die Wechseljahre gehören zur Lebensentwicklung des weiblichen Körpers und bieten die Chance zu einem neuen Umgang mit dem Gesangsinstrument. Hier liegt sozusagen neu entdeckbarer Raum mit "mehr Tiefgang": Veränderung ist Chance. Das Leben hat immer recht!

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Sängerin Dörte hat Spaaaß – mit und ohne Oldieband (siehe auch Artikel im Kölner Stadt Anzeiger)

Hormone bewirken was

Des Weiteren können bereits kleine Einnahmedosen des männlichen Hormons "Testosteron" die Frauenstimme (negativ) beeinflussen. Gleiches gilt folgerichtig auch für "Ovulationshemmer": Diese dienen der hormonellen Empfängnisregelung – darunter fallen z.B. Antibabypillen, Minipillen, Verhütungsstäbchen, Hormonspiralen oder auch die sogenannte "Pille danach":

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Die "Pille"

Im Einzelfall kann also auch die Einnahme oder ein Wechsel der Antibabypille stimmliche Veränderungen nach sich ziehen. Da viele Sängerinnen „die Pille“ nehmen, heißt dies natürlich nicht, dass man damit grundsätzlich nicht singen kann!

Ist plötzlich was anders?

Wenn aber „plötzlich unerklärliche stimmliche Veränderungen oder Beeinträchtigungen“ eintreten, lohnt es gegebenenfalls hierüber einmal nachzudenken.

Seitens der MusikproduzentInnen gehören dann Fragen wie "Nimmst Du eigentlich die Pille?" selbstverständlich in eine entsprechend vertrauensvolle Situation!

Die Hintergründe sollten entsprechend erklärt werden – und die „Frage nach der Pille“ nicht grundsätzlich nach Eintreffen neuer Sängerinnen im Studio „rausgepoltert“ werden.

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Tages-Form

Apropos "Empfängnisregelung" – ich hatte Tori Amos ja bereits am Beginn dieses Artikels zitiert: Der Menstruations-Zyklus der Frau wirkt sich auf die Stimme aus (Anschwellen der Schleimhäute etc. während der Menstruationstage).

Auf und unmittelbar vor die Menstruation sollte „frau“ also nicht unbedingt die wichtigsten Studioaufnahmen oder die höchsten Gesangspartien terminieren, da in dieser Zeit möglicher Weise stimmliche Einschränkungen zu erwarten sind:

Dies muss nicht so sein – ist in der Praxis aber in der Mehrzahl der Fälle feststellbar. Hier kennt eine "bewusste Sängerin" ihren Körper über die Jahre "selbst am besten".

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Gut drauf?

Auch die mentale Stimmung „dieser Tage“ kann sich auswirken. Hier kann es also durchaus sinnvoll sein, seitens ProduzentIn bei der Terminfindung für die Vocaltakes mal "erklärend“ nachzufragen – aber auch hierbei sollte sich die Sängerin selbst am besten kennen: Die Art der Veränderung / Einschränkung variiert hier individuell sehr. Dem Vorangegangenen lässt sich noch abschließend hinzufügen:

Plötzlich zu zweit im Körper

Während, nach und insbesondere zu Beginn der Schwangerschaft kommt es zu großen hormonellen Umstellungen im weiblichen Körper, welche vielen Frauen entsprechend „Probleme“ bereiten können – aber nicht müssen:

Ich habe schon diverse BerufssängerInnen vor, während und nach Ihrer Schwangerschaft im wöchentlichen Unterricht betreut, die keinerlei oder nahezu keinerlei hörbare stimmliche Veränderungen hatten – wenn man in manchen Fällen einmal von der Auswirkung der mitunter recht eingeschränkten Atemsituation aufgrund des "unter dem Zwerchfell wohnenden Mitbewohners" absieht :-) Aber auch das variiert sehr.

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Wohl eines seiner ersten Fotos: Jonas!!! Und schooon (mit Mama) im Gesangsunterricht :-)

Biochemische Botenstoffe

Dennoch kann es ohne Frage im weiblichen Hormonhaushalt zu Änderungen kommen, die mitunter auch dauerhaft nach der Schwangerschaft bestehen bleiben. Allgemein sind Hormone als „biochemische Botenstoffe“ des menschlichen Körpers äußerst wichtige Informationsübermittler (Hormon = griechisch: „antreiben“) – folgerichtig können sich z.B. auch „Hormon-Präparate bei der Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen“ auf das Stimmbild auswirken.

Und da im heutigen Artikel schon so viel von (Meno-)Pause die Rede war: In 14 Tagen wird es noch intensiver um das Thema „Pausen“ gehen: Um „Ohren- und Stimmpausen“. (tg)

Info zu 96kHz:

Seit 2015 ist die Website www.96kHz.de offline.

Die hier archivierte Vocalcoaching-Serie 
war von 2009 bis Anfang 2015 im Onlinemagazin auf 96kHz.de zu lesen.
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