96kHz-Serie "Kleines Gesangs-ABC für ProduzentInnen"

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Teil 3: "Wer feiern kann - kann auch arbeiten?" Leider nicht immer.

(Artikelserie aus dem 96kHz.de-Online-Magazin 2009-2010)


In dieser Folge geht es unter anderem um Aspekte wie Pausenverhalten, Nachfeiern und Stimm-Schonung – und damit zum Beispiel auch um „Gespräche in der Regie“: Denn insbesondere das Sprechen nach ausgiebiger Studioarbeit (oder Live-Auftritt) über laute Musik, den dröhnenden aktuellen Mix (wohlmöglich noch mit Sekt in der Hand und in verqualmter Luft – siehe Teil 2 dieser Serie), stellt oft eine unterschätzte Stimmbelastung dar. Hier ist gleichermaßen "Sprechdisziplin seitens der SängerInnen", als auch "Lautstärkedisziplin seitens der Abhörsituation" gefragt. Vermeiden Sie es, sich mit angestrengt erhobener Stimme oder gar schreiend über dem laufenden Mix zu unterhalten. Gleiches gilt für die Backstageparty. In meinem Pro-Coaching (Intensivcoaching für Profi-SängerInnen) nehmen diese Themen einen recht großen Raum ein – sind aber mit Aspekten wie z.B. „Wie sitze und spreche ich während eines Interviews?“ für diese Serie hier zu „SängerInnen-spezifisch“. Ich bleibe also allgemeiner:

Lieber dreimal die Partie singen, als einmal nachfeiern.

Richard Brünner

Vom Räuspern und Stimmschonung

"Räuspern" belastet die Stimme "wie eine halbe Stunde laut sprechen" – und ist unbedingt zu vermeiden. Schlucken, trinken, summen – aber nicht räuspern! Ich habe Alessandro Bonci ja im zweiten Teil dieser Serie schon einmal zitiert:"Räuspern bedeutet für die Stimme dasselbe, als wenn man mit einer Armbanduhr auf den Tisch klopfen würde". Ähnliches gilt auch für das Husten: Die Stimmlippen werden aus geschlossener Grundstellung plötzlich explosiv auseinander gerissen – was zu Schädigungen führen kann.

Man sollte sich also bei starkem Husten früh genug um entsprechende ärztliche Behandlung, bzw. entsprechende Medikamente kümmern (auf das Thema "Stimme und Medikamente" werde ich in Teil 4 dieser Serie noch zu sprechen kommen). Ebenso sollte man nicht flüstern, wenn man die Stimme schonen will: Flüstern geschieht "mit offenen Stimmlippen", ist eine enorme Stimmbelastung und macht es immer nur schlimmer!

Mal den anderen quatschen lassen

Wenn man die Stimme schonen will oder muss – nicht flüstern! Flüstern ist eine Stimmbelastung "wie schreien":

1) Mund halten! So wenig wie möglich sprechen – wenn, dann jedoch in normaler Lautstärke und gut artikuliert. Einfach mal das Gegenüber quatschen lassen – gegebenenfalls mit aktiven Fragen.

2) Erfahrene SängerInnen sollten für solche Situationen entsprechende (zum Beispiel logopädische) Summ- und Ausgleichs-Übungen zum "Entspannen der Stimmlippen-Randkanten" etc. kennen – und wissen, dass eine "richtige Pianostimme" (= leise Stimme) immer eine voll funktionsfähige Stimmresonanz hat und keine "kleine, verhauchte Stimme" ist.

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DERGRUBE fotografiert Kunst von Hannes Lorenz

Klar: Krank sollte eh niemand arbeiten und abgesehen von einem stimmdienlichem Pausenverhalten sollte darüber hinaus auch das – im Folgenden nur kurz angerissene – Thema der "temperaturangepassten Kleidung" besonders beachtet werden. Auch dies ist ein wichtiger Punkt meiner Coachingarbeit – insbesondere im Tournee-Coaching oder während längerer Studio-Produktions-Phasen:

"Das kleine Rote oder das Schwarze...?"

Selbst bei "hohen Charts-Platzierungen" – also bei KünstlerInnen die man als Profi bezeichnen sollte – erlebe ich immer wieder Probleme, weil KünstlerIn XY es nicht auf die Kette bekommt, beim abendlichen Strandspaziergang auf Ibiza rechtzeitig eine Jacke überzuziehen. In der Folge fallen wegen so etwas dann aber wichtige Jobs oder die Studiosession des nächsten Morgens ebenfalls locationmäßig an den Strand – nämlich "ins Wasser".

Wohlgemerkt: Nicht, "weil jeden Abend eine Show gesungen wurde" – sondern schlicht wegen der falschen Jacke zur falschen Zeit.

Insbesondere das übliche "nachts, verschwitzt von der Bühne kommen" birgt solche Gefahren: Wenn möglich, sollte man sich immer sofort umziehen, evtl. duschen (nicht mit nassen Haaren raus) – und ab ins Hotel. Besonders gefährdet sind hier natürlich Bands, die ihr Equipment selbst auf- und abbauen und nach dem Gig noch verschwitzt zwischen Bühne und Tourbus herumrennen.

Auch das "verschwitzt im Durchzug der geöffneten Tourbus-Tür sitzend Autogramme schreiben" ist sehr beliebt. Selbiges gilt natürlich ebenso für Studioarbeiten: Auch hier sollte man nicht verschwitzt unter der Klimaanlage (noch so ein Thema für sich) herumstehen. Aber betrachten wir hier das Thema "Kleidung" einmal aus "klangtechnischer Sicht":

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Kleidung und Atmung beim Singen

Ein weiterer Punkt des Themas "Kleidung" wird nämlich auch oft unterschätzt: Ein (äußerer) Aspekt für die weitverbreitete Atemfehlform der "Schulter-Brustatmung" mit ihren kehlverengenden Auswirkungen ist die heute häufig zu eng sitzende Kleidung.

Nein, damit sind nicht "Schalmode, Schmuck oder Bondage-Utensilien im Kehlbereich" – oder gar merkwürdige Kopfbedeckungen – gemeint, sondern die Kleidung im Bauch- und Taillenbereich:

In Form quetschende zu eng geschnittene Designer-Mode (bzw. allgemein zu enge Kleidung) behindert nämlich massiv die Zwerchfellatmung und Stütztechnik der SängerInnen und wirkt sich negativ auf den Sound aus. Also nicht zu eng geschnittener Hosenbund – und bequeme Kleidung tragen.

Gleiches gilt für das Schuhwerk der Sängerinnen: Hochhackige Schule beeinflussen über das einknickende Becken ebenfalls die Zwerchfelltätigkeit.

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Barfuß im Studio?

Manche Künstlerin erschien schon miedergeschnürt und hochhackig bei mir zum Studio- oder Coachingtermin: Was in der Livesituation oft zu Kompromissversuchen zwischen Vocalcoach und Choreograf / Maske führen kann, ist jedoch zumindest im Studiobereich leicht zu lösen: Zur Not singt die Dame barfuß ein ;-) 

Keine Panik!

Abschließend – insbesondere zum Thema "der Temperatur angepasste Kleidung tragen" – nochmals der Verweis auf die bereits in den Vorartikeln erwähnte "Waage": Bitte keine falsche Hysterie entwickeln und nur noch mit Halstuch und Polarmütze rumrennen:

Hysterie nicht pflegen

Peter Hofmann sagte einmal sehr treffend (Zitat): "Komischerweise kann ich mich nicht erinnern, jemals erkältet gewesen zu sein, bevor ich Sänger wurde. Diese "Hysterie", Sänger zu sein, sollte man nicht hochspielen; Nervosität sollte man nicht pflegen."(Zitatende).

Also: Waage, Waage, Waage. Und wenn es dann doch einmal daneben gegangen ist – und die Krankheit über die Stimme gesiegt hat?

Darum wird es im nächsten Artikel "Stimme und Medikamente" gehen. (tg)

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Info zu 96kHz:

Seit 2015 ist die Website www.96kHz.de offline.

Die hier archivierte Vocalcoaching-Serie 
war von 2009 bis Anfang 2015 im Onlinemagazin auf 96kHz.de zu lesen.
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