Shared Knowledge Serie

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Teil 1: Klassische Produzentensorgen: "Der soll aber weiter so schön rauchig klingen…"

(Shared Knowledge – tg)


Natürlich singt Jan Delay nicht perfekt im "Vordersitzbezirk", sondern "in die Nase hinein". Und natürlich sagte bereits der Sänger und Gesangspädagoge J. Messchaert sehr richtig: "Der Ton soll nie in der Nase sein, aber die Nase immer im Ton!". Auch die Gesangspädagogin Franziska Martienssen-Lohmann stellt fest, die Überbetonung "des Nasalen [...] wächst sich mit zunehmender Übertreibung zu einem schweren Fehler aus". Nichtsdestotrotz ist dieser "nasige Sound" zweifelsohne das individuelle, künstlerische Ausdrucksmerkmal von Künstlern wie z. B.: Jan Delay oder – um zur absoluten Oberliga zu schauen – von Künstlern wie Al Jarreau. So ist es nur verständlich, dass sich ProduzentInnen stellenweise "bei Eintritt ihrer KünstlerInnen in einen Gesangsunterricht" Sorgen um den Sound ihrer KünstlerInnen machen – insbesondere, wenn "deren Markenzeichen" in einem besagten gesangstechnischen Fehlverhalten gründet. Wie soll man hierzu nun stehen?

Bewusstsein und Können lautet die Devise: Wer sich einen stabilen Stimmsitz erarbeitet hat, kann auch "in die Nase" singen – wenn man diesen Klang nutzen will. Das entscheidende ist jedoch: Es besteht eine bewußte Wahl-Möglichkeit seitens KünstlerIn!

Zitat DERGRUBE

Die Grenzen des Systems - Vom Sinn und Unsinn der Gesangstechnik

Zum rauchigen Sound sei bemerkt: Auch ich mag die Stimmen von Joe Cocker, Rod Stewart oder – einem meiner Favorites – Tom Waits. Obschon jeder HNO oder Phoniater bei deren Stimmklang mit Recht von einer schweren Funktionsstörung oder gar Stimm-Erkrankung sprechen würde – und zu sofortigen Maßnahmen beim Logopäden raten würde. Was Sänger und Sängerinnen dieser "Stimmart" betreiben ist zweifelsohne "Glücksspiel".

Lotto

Sicher: Man kann im Lotto gewinnen. Im Falle der vorgenannten Herren hat´s – mit Blick auf die Karriere – (bisher) "geklappt".

Bei Joe Cocker haben wie mittlerweile (leider) die Gewissheit, dass die Stimme bis zuletzt in ihrem speziellen Sound "(be) hielt" – da er uns ja leider schon verlassen hat. R.I.P. Seine "Stimm-Erkrankung" hat die Dauer der Karriere in einem "nutzbaren Zustand durchgehalten". 

Hinter solchen Stimmen stehen jedoch tausende Sängerinnen und Sänger, die Sie und ich niemals kennengelernt haben, da sie ihr "rauchiger, whisky-gegerbter Sound (-Versuch?)" nur bis in die nächste Arztpraxis führte.

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Technisch korrekt oder künstlerisch hochwertig?

Was wäre die Pop/Rockmusik andererseits ohne die künstlerische Leistung von Joe Cocker & Co? Hier ist stellenweise eine Differenzierung und ein "Nebeneinander" von "technisch korrekt" und "künstlerisch hochwertig" zu erkennen – und beide Lager schließen sich in manchen Fällen schon mal aus:

Manche(r) "Ungelernte" erschafft mit brutaler Stimm-Vergewaltigung tolle Songs – und so manche(r) "gut Ausgebildete" erreicht trotz scheinbar perfekter Stimme nicht das Herz der ZuhörerInnen.

Im günstigsten Falle sollte meiner Ansicht nach immer beides zusammen kommen!

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Es geht nicht darum, dass man einen Ton nur "auf eine Art technisch richtig singen darf" - man kann ihn aus Soundgründen auch "falsch singen": Es geht bei der Beherrschung der Technik (neben stimm-gesundheitlichen Aspekten) schlicht darum, dass man die bewusste Wahl hat, wie man ihn singen will. Warum und wie man dies dann macht ist eine rein künstlerische Entscheidung.

Mit Blick auf das Coaching kann ich hierzu folgendes feststellen:

Jedes Geräusch, das eine Stimme erzeugen kann, steht den StimmbesitzerInnen grundsätzlich zur künstlerischen Gestaltung zur Verfügung! Ich habe mich über die Jahre speziell auf die "Beibehaltung des individuellen Sounds" meiner KünstlerInnen sensibilisiert – und arbeite dabei "zweigleisig":

Zunächst wird die korrekte Stimm-Benutzung erlernt – in ihrer bestmöglichen Resonanz-Fähigkeit und physiologischen "Unbedenklichkeit". Parallel dazu, wird der Sound des "falschen Klanges" als nutzbare "Ausdrucksmöglichkeit" erhalten:  Man kann in die Nase singen – muss es aber nicht! Man kann "wie Elvis singen" – aber eben auch "wie man selbst".

Vorzeitig abhaken?

Diese "Zweigleisigkeit" hat im Unterricht ihre Grenzen jedoch klar gesteckt: Dort wo die Stimmnutzung die rein "klang-ästhetischen Geschmacks-Bereiche" verlässt und zu physiologischen Schäden führt ist (meinerseits) erst mal Schluss.

Hier sollten auch KünstlerInnen, ProdutentInnen und Label an einer dauerhaften gesunden Lösung interessiert sein – sonst muss die "schöne raue Stimme" möglicher Weise früher als geplant "den Hut an den Nagel hängen" und die Karriere vorzeitig "abhaken". Wer sich seine Stimme dennoch bewusst verheizen will – hat hier nur eine Wahl: Er oder sie muss dies für sich selbst entscheiden und mit den Konsequenzen leben. 

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Persönliche Freiheit über allem

Die Grundentscheidung, sich "eine Stimme zurecht zu saufen" oder " zurecht zu schreien" bleibt aber natürlich letztlich eine absolut individuelle Entscheidung: Und vor dieser Entscheidung habe ich höchsten Respekt! Wer auf diesem "selbstzerstörerischen Weg" dennoch "stimmpädagogische Begleitung" bei mir erbittet – dem werde ich diese natürlich nicht verwehren. Wenn auch nicht ohne entsprechende Ausführungen dazu:

Bitte keine Kopie

Man sollte in diesem Zusammenhang zum Beispiel zuvor darüber nachdenken, dass man mit dem "kopfigen Plan" eine Stimme "zurecht zu saufen" oder " zurecht zu schreien"  das "Jetzt der eigenen Stimme" – also den tatsächlichen, jetzigen eigenen Stimmklang und damit den "Urgrund seiner selbst" verleugnet und (möglicher Weise auch "mit Blick auf andere favorisierte Stimmen im Außen") nach etwas sucht, was man nur im eigenen Inneren und eben in der "Annahme seines Selbst" finden könnte. Eine "Stimmkopie" oder eine "manipulierte, verstellte Stimme" wird niemals die künstlerische Tiefe erlangen, die jemand findet, der seinen persönlichen Stimmklang annimmt – und nicht versucht wie ein Tom Waits zu klingen, wenn er es nun mal nicht ist

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Das Original gewinnt!

Das ist ja eben das Wunder: Kein Mensch klingt wie ein anderer! Und genau hier liegt der Weg. Und die einzige Chance auf wirkliche künstlerische Tiefe. In diesem Sinne: Be yourself :-) (tg)

Siehe hierzu auch Teil 1 der der DERGRUBE-Vocalcoachingserie auf 96kHz.de: "Vorweg - Vom Sinn und Unsinn der Gesangstechnik" sowie den Artikel des Kölner Stadtanzeigers "Arbeit an einem einzigartigen Instrument" – oder auch Teil 6 der Universal Serie: "Wie können KünstlerInnen bestmöglich ihren eigenen Stil fördern?"

Die Artikel dieser Serie in der Übersicht: